Crowdsourcing-Woche in Schweden
Mehr als alle ihre Vorgänger fühlt sich die Generation Y, geboren zwischen 1980 und 1995, zum „Impact Investing“ hingezogen, Investitionen mit gutem Gewissen. Denn geteilte Freude ist doppelte Freude. Passender kann man das Prinzip des Crowdsourcing kaum beschreiben. Communication Works reiste ins ‚Hauptdorf‘ der globalen Sammelbewegung, ins nordschwedische Vuollerim am Polarkreis. Ivo Banek befragt seine Kollegen Sabine Froning und Niels Reise nach ihren Eindrücken vom Polargipfel der Crowdsourcing Week.
20. April 2017
Nordlicht über Vuollerim / Foto: Pia Ulvebrink
Ivo: Das Wichtigste zuerst – was und wo sind Luleå und Vuollerim?
Niels: Luleå ist die größte Stadt hoch oben im Norden Schwedens, nah am Polarkreis. In der Vergangenheit hauptsächlich bekannt durch die Stahlindustrie, beheimatet sie eine stetig wachsende technische Universität und ist das Zentrum der schwedischen Wasserkraft. Damit zieht die Stadt zahlreiche internationale Konzerne an, die grüne Energie und ein kaltes Klima suchen. Aber Sabine, Du hast mehr Zeit in Vuollerim verbracht als ich, vielleicht kannst Du dazu etwas sagen.
Sabine: Vuollerim ist noch ein bisschen kleiner und liegt noch ein bisschen nördlicher im schwedischen Lappland. Das Dorf hat nur 80 Einwohner. Dennoch kann man es quasi als Hauptstadt der Sharing Economy bezeichnen. Diese 500 Menschen haben nämlich nicht weniger als 60 Unternehmen, 40 gemeinnützige Organisationen und 7 Gemeinschaftsunternehmen auf den Weg gebracht, um Kultur und Wirtschaft im Dorf wieder zu beleben.
Ivo: Wie geht das denn?
Sabine: Zum Beispiel hat das Hotel in Vuollerim 156 Eigentümer. Sogar die Schule, die von den Behörden aufgrund zu geringer Schülerzahlen geschlossen worden war, ist wieder geöffnet worden und wird nun von den Dorfbewohnern organisiert. Dadurch bleibt der Ort für Familien mit Kindern attraktiv. Sonst würden diese vermutlich in die nächst gelegene Stadt umziehen. Außerdem werden durch diese und ähnliche Initiativen lokale Arbeitsplätze geschaffen.
Ivo: Zurück zur Konferenz – Niels, was ist denn so besonders am Konzept Crowdfunding, dass Du den ganzen Weg bis nach Luleå gereist bist?
Niels: Teilnehmer und Redner kamen aus vielen Ländern, selbst aus Indien, bis nach Luleå. Sie hatten die unterschiedlichsten Erfahrungen und Erwartungen. Gemeinsam hatten sie und ich, dass sie mehr über neue Wege zur Geschäftsgründung und Ideen lernen wollten, die weit entfernt von der üblichen Wirtschaftslogik liegen.
Ivo: Was ist denn die übliche Logik ? Und wie wird sie durch Crowdsourcing verändert?
Niels: Nehmen wir das Beispiel der Schule in Vuollerim: Die Zahl der Schüler ging zurück, sie sollte geschlossen werden. Die Schüler hätten längere Wege zu größeren Orten mit größeren Schulen auf sich nehmen müssen. Es geht also um Größenvorteile. Genau das Gleiche gilt für kleine Läden, die von größeren Einkaufszentren und Konzernen geschluckt werden. Das ist die übliche Logik. Am Ende verschwinden die kleinen Orte in ländlichen Gebieten von der Landkarte. Betrachtet man gesellschaftliche Entwicklung unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten, führt das immer zum gleichen Ergebnis. Wenn Menschen das ändern wollen, müssen sie Finanzierungsmöglichkeiten finden, die sie von dieser Denkweise unabhängig machen.
Niels Reise, Sabine Froning und der Gründer der Crowdsourcing Week, Epi Ludvik Nekaj
Sabine: Stimmt. Es geht dabei eben nicht nur darum, Geld für bestimmte Projekte aufzutreiben. Finanzielle Wertschöpfung ist das eine, Einstellung und die Beteiligung aller an den Entscheidungsprozessen etwas völlig anderes. Letztlich geht es darum, qualitatives Wachstum zu schaffen, das dem Gemeinwohl dient. Und nicht ausschließlich dem Profit einzelner Investoren oder Konzerne.
Niels: Während der Konferenz zeigten lokale Politiker wie Luleå’s Bürgermeister großes Interesse an dem Konzept des Crowdsourcing. Das hat mich beinahe etwas überrascht.
Sabine: Mich nicht! Zum einen liegt Luleå weit ab von Gut und Böse und muß daher über die Strukturhilfen der Regierung hinaus Wege finden, mit den Zentren der schwedischen Wirtschaft zu konkurrieren. Zum anderen wünschen sich moderne Politiker engagierte und emanzipierte Bürger. Denn Menschen wollen nicht nur hin und wieder zur Wahl gehen, sondern aktiv an der Gestaltung der Gemeinschaft teilhaben. Politiker, die das verstehen, sind einfach populärer. Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, ist das perfekte Beispiel dafür.
Niels: Ja, mit ihren Ideen, wie man die Pariser dafür einspannen kann, die Stadt sowohl lebenswerter für ihre Bürger als auch noch attraktiver für Touristen zu machen, leistet sie Pionierarbeit. Und findet damit weltweit Anerkennung. Crowdsourcing ist fast schon zu einer Art Marke für sie geworden.
Sabine: Umso mehr, als sie die Bürger sogar an Haushaltsentscheidungen beteiligt. Die Bewohner von Paris haben die Möglichkeit, online darüber abzustimmen, für welche Projekte fünf Prozent des Haushalts verwendet werden sollen. Eine der größten Durchfahrtsstraßen der Stadt wird im Sommer zum Stadtstrand. „Paris plages“ bietet Erholungsraum sowohl für Einwohner, die nicht in Urlaub fahren, als auch für Touristen. Und wenn es ein Problem gibt, das Kinder betrifft, bittet sie Kinder um ihre Ideen dazu. Der Slogan „Made for sharing“, den die Stadt für ihre Olympiabewerbung 2024 gewählt hat, könnte also ganz ernst gemeint sein.
Niels: Das ist vermutlich der wichtigste Aspekt: Es muß ernst gemeint sein. Sonst fühlen sich die Menschen betrogen und wenden sich schnell ab.
Sabine: Auf jeden Fall haben die sehr engagierten Studenten von der Universität Uppsala, die wir auf der Konferenz getroffen haben, das ganz klar so gesehen. Die jüngere Generation fühlt sich oft von der etablierten Politik und Wirtschaft betrogen. Sie haben immer wieder unterstrichen, wie wichtig ihnen die ethische Dimension des Crowdsourcing ist.
Crowdsourcing am Rande des Polarkreises
Ivo: Und was bedeutet das nun für traditionelle Unternehmen und ihre Kommunikation?
Niels: Jüngeren Technologieunternehmen und Start-ups ist crowdsourcing natürlich nicht fremd. Sie nutzen es, um damit ihre Kunden glücklich zu machen. So schuf Apple schon in 2012 die „Apple Support Community“ – ein Online-Forum, in dem Kunden untereinander ihre Hard- und Software Probleme posten und diskutieren können. Die Community findet Lösungsmöglichkeiten und Anleitungen. Damit liefert Apple sozusagen Kundenservice und Hilfe zur Kundenselbsthilfe.
Ivo: Hört sich an wie ein guter Deal für beide Seiten. Aber das ist eben die Technologiebranche.
Sabine: In Luleå wurden eine Vielzahl anderer Beispiele wie Uniti und Lego präsentiert. Auch sie nutzen die Kreativität ihrer Kunden, um ihre Produkte zu verbessern und innovativer zu werden. Selbst die NASA hat vor kurzem öffentlich um innovative Ideen geworben.
Niels: Traditionelle Branchen stecken häufig in alten Denkmustern fest. Crowdsourcing ist ein guter Weg, diese aufzubrechen. Es sei denn, sie sehen das lediglich als eine andere Art der Finanzierung oder Profitvermehrung. Wie Professor Anna Ståhlbröst in ihrer Präsentation hervorhob, sind Plattformen wie Uber oder AirBnB nicht von vornherein anderen überlegen. Um glaubwürdig zu sein, müssen sie beweisen, dass es ihnen nicht nur um eine neue Art der Ausbeutung oder Steuervermeidung geht.
Sabine: Daher gefällt mir persönlich der Begriff „Community“ (Gemeinschaft) besser als die anonyme „Crowd“ (Masse). Und ich stimme Dir zu: Wenn Teilen das neue Paradigma ist, geht es vor allem um die richtige Einstellung. Traditionelle Unternehmen können da eine Menge von Kooperativen lernen. Eine Vertreterin des schwedischen Verbandes zur Förderung von Kooperativen, die wir auf der Konferenz getroffen haben, hat das so beschrieben: „Selbst wenn Du der Chef bist, bist Du nicht der Chef. Weil Du immer sicherstellen musst, dass Du alle gehört und verstanden hast, die ein echtes und berechtigtes Interesse an der Sache haben.“
Das ist wohl, worum es in der Sharing Economy eigentlich geht. Und was nicht nur die Generation Y will.