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Wanderer zwischen den Welten

Ich, ein Polen-affiner Deutsch-Franzose

Ausländer in Deutschland – wer denkt dabei schon an Franzosen? Jean-François Renault aus Cognac kam als Dolmetscher des Alliiertenstabes nach Berlin, promovierte dort, wurde deutscher Staatsbürger und engagiert sich heute beim polnischen „SprachCafé“ in Pankow, um konkret etwas für das alltägliche Gelingen Europas zu tun. Ein Europa, das aus den Erfahrungen und dem Engagement seiner Bürger lernt. Ein Gespräch.

26. März 2018

 

Als Jean-François Renault nach der Jahrtausendwende die deutsche Staatsbürgerschaft beantragte, wurde er aufs Eberswalder Bürgeramt bestellt. „Da traf ich eine nette Dame, die mit starkem Berliner Dialekt sprach. Ich sollte einen Sprachtest bei ihr machen. Das fand ich lustig, denn ich hatte zehn Jahre vorher auf Deutsch promoviert! Wenigstens musste ich nicht erklären, was ein Eisbein ist.“, berichtet Renault von seiner Reise zum Deutschsein.  Und Deutsch sein wollte er vor allem darum, weil das Nicht-Deutschsein einfach zu anstrengend geworden war.

Wurden Franzosen diskriminiert?

„Nein. Ob in Berlin, Bernau oder Eberswalde: bei den Ausländerbehörden wurden alle Ausländer gleich schlecht behandelt. Mit dem zunehmenden Zusammenwachsen Europas wurden dann nur noch die EU-Ausländer schlecht behandelt. Die anderen noch schlechter. Die haben einen richtig terrorisiert. Aber leider musste ich da ja jedes Jahr hin, um meine Aufenthaltserlaubnis zu erneuern.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte Renault nicht nur schon seit über zwanzig Jahren in Berlin gelebt und gearbeitet, promoviert und eine Stellung an einem –großen? deutschen Forschungsinstitut erlangt. Vor allem hatte er die vielen alltäglichen Schattenseiten erfahren, die das (Staats-)Grenzen überschreitende Leben in einem von oben gesteuerten Europa mit sich bringen kann. Ein Beispiel:

„Während meiner Promotion in Berlin musste ich mich doppelt krankenversichern. Trotzdem galt keine der beiden Versicherungen. Bezahlt habe ich nur für den Nachweis einer deutschen Police, ohne den ich mich nicht an der deutschen Hochschule hätte einschreiben können. Und in Frankreich war man zwangsversichert – und dennoch galt die Versicherung nicht im Ausland. Ich hatte großes Glück, dass ich so quietschgesund war.“

Eine gemeinsame europäische Identität wird nach Meinung Renaults weiterhin von starken nationalen Klischees und Vorurteilen überlagert. Er selbst kennt sich damit aus und spielt gelegentlich damit.

„Egal, wo ich in Europa bin, man hält mich für was Anderes. In manchen Ländern trete ich gerne als Deutscher auf, zum Beispiel in Spanien. Da sind die Deutschen beliebter als die Franzosen. In Italien lieber als Franzose. Zu meinen Lieblingskulturen gehören die italienische und die polnische. Notfalls trete ich auch als Belgier auf. Auf die reagiert nämlich niemand, weil man Belgien in den meisten europäischen Ländern offensichtlich für identitätslos hält.“

Gibt es denn überhaupt nationale Eigenarten?

„Natürlich! Die Deutschen klassifizieren alles. Eine Kirche irgendwo in Norddeutschland heißt nicht einfach Kirche, sondern man bezeichnet sie als „die älteste Sandsteinkirche ohne Turm östlich der Elbe aber westlich von Schwerin.“ Das ist wirklich lustig! So als müsste man mit allem etwas beweisen.“

Ist das nicht auch ein Klischee? Machen andere Nationalitäten das nicht?

„Die Engländer jedenfalls kommen nie mit solchen Tricks, um zu beweisen, dass sie die besten sind. Das machen nur die Deutschen, um etwas Besonderes zu sein. Dabei haben die das doch gar nicht nötig.“

Jeweils die Hälfte seines bisherigen Lebens hat Renault in Frankreich und Deutschland verbracht. (und die dritte Hälfte anderswo) Trotzdem unterstützt er seit einigen Jahren das „SprachCafé Polnisch“ im Berliner Bezirk Pankow. Excusez-moi? Pourquoi pas un café français, Monsieur Renault?

„Gute Frage. Ich war schon 1984 in Polen. Es war eine komische Idee meiner Eltern. Damals fuhr kein Tourist aus Frankreich nach Polen. Wahrscheinlich fuhr überhaupt kein Tourist dahin. Es gab ja auch gar nicht genug zu essen. Aber wir fuhren da hin und hatten sogar unseren Hund – einen Boxer – dabei, der sich einen Monat lang ausschließlich von Ostseeheringen ernährte.“

 

 

Unser Hund ernährte sich einen Monat ausschliesslich von Ostseeheringen

 

Und damals haben Sie sich in Polen verliebt? Was war es denn – dass da keiner sonst hinwollte, also die Exklusivität, oder der gute Hering?

„Mir gefiel schon damals die Einstellung der Polen, wie sie mit ihrer Situation umgingen. Umso schwerer zu verstehen, warum die heute eine Partei wie PIS wählen. Ich mag Schriftsteller wie Gombrowicz und Mrożek. Die stellen schwierige Sachverhalte intelligent und sogar lustig dar. Julian Tuwim ist übrigens auch so einer. Diese Kultur hat mich fasziniert. Auch die polnische Plakatkunst.“

Und darum engagieren Sie sich beim polnischen SprachCafé[1]?

„Der Hintergrund ist eher mein Erlebnis dessen, wie unterschiedlich das Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen, Franzosen und Polen sowie Deutschen und Polen ist.“

Was ist denn so unterschiedlich zwischen dem Verhältnis von Franzosen bzw. Deutschen gegenüber Polen?

„Nach der Wende war ich mit einem deutsch-französischen Chor in Polen auf Tournee. Da stellte ich was Komisches fest. Von den Parisern war die Mehrheit schon in Polen gewesen. Von den Berlinern keiner. Nicht mal meine in Berlin geborene Frau wollte mit auf die Tournee, weil sie etwas Besseres zu tun hatte. Dabei weiß man in Deutschland erstaunlich wenig über Polen.“

Was wollen Sie denn mit dem SprachCafé erreichen? Sollen die Deutschen von den Franzosen lernen, sich für Polen zu begeistern?

„Ich will die Deutschen mit meiner Begeisterung für dieses Land anstecken! Z.B. das Essen. Es gibt ja keine polnischen Restaurants in Deutschland. Also denken die meisten Deutschen, in Polen sei alles nur Fleisch und Wurst. Also im Grunde wie in Deutschland, nur eben polnisch. Stimmt natürlich nicht. Wegen der vielen Fragen habe ich ein ziemlich dickes Buch dazu geschrieben[2]. Gelesen haben es vor allem Polen und poleninteressierte Deutsche…“

Wendet sich das SprachCafé nicht vor allem an Polen in Berlin? Was hat Europa davon?

„Wir haben viele Aktivitäten, auch für Deutsche. Aber es stimmt, es geht um kulturelle Identität. Wir wollen keine großen Reden über die Zukunft Europas schwingen, sondern alltägliche Dinge tun, um eine europäische Identität zu stärken.“

Wie wollen Sie das erreichen?

„Es gibt heute eine gezwungene Integration. Das ändert sich jedoch. Heute wollen die Leute beides: sich integrieren und gleichzeitig ihre Kultur behalten. Das geht der wachsenden Zahl von Polen in Deutschland so, wie etwa den Portugiesen in Frankreich. Das ist eine Verdoppelung der Persönlichkeit. Die gleiche Person hat in den beiden kulturellen Identitäten zwei verschiedene Persönlichkeiten. Es ist faszinierend, dass man eine Kultur behalten und trotzdem eine neue annehmen kann.“

Ist das für alle so?

„Auf jeden Fall für viele Vietnamesen in Berlin, die zwar hervorragend Deutsch sprechen aber aufgrund ihres Aussehens eben selten als Deutsche wahrgenommen werden. Und es gibt leider auch Leute, die das gar nicht wollen. Dabei ist Deutschland heute viel bunter als es noch vor einigen Jahren war.“

Wir sind denn die Franzosen in Deutschland? Brauchen die kein SprachCafé?

„Wir Franzosen gelten immer wieder als so genannte ‚gute Ausländer’ – obwohl ich das selber gar nicht unterscheide. Die Pariser in Berlin sind jedenfalls nicht hier, um dann mit ihren Pariser Nachbarn auch in Berlin zusammenzuglucken. Insofern sind sie sowohl beliebt als auch schnell gut aufgenommen. Aber insgesamt ist das große Interesse der Franzosen für Deutschland und speziell für Berlin wieder abgeklungen.“

Warum mögen denn die Franzosen Deutschland nicht?

„Jahrzehnte lang haben in Frankreich nur Streber Deutsch gelernt bzw. lernen dürfen. Das war keine gute Verkaufsstrategie für das Deutsche. Allgemein ist Deutschland weniger interessant. Allein in London gibt es mehr Franzosen als in ganz Deutschland.“

Und welches Image haben die Polen?

„Viele Deutsche sehen nach wie vor in den Polen vor allem Putzfrauen und Klempner. Dabei gibt es nicht nur in Berlin eine lebhafte polnische Kulturszene.“

[1] Website

[2] Rendez-vous mit Polską…