communication works

Interview Energieeffizienz

Über dem Radar

„Wir können Energieeffizienz nicht überverkaufen“, sagt EEIP*-Präsident Rod Janssen. Aber mit dem Energiemanagementsystem ISO 50001 und der europäischen Energieeffizienz-Richtlinie ist für jeden klar erkennbar, dass Energieeffizienz zu einem wichtigen wirtschaftlichen und industriellen Faktor weit über den Klimaschutz hinaus geworden ist. Der beste Ort, um über Best Practice zu lernen und zu diskutieren, ist für Janssen die World Sustainable Energy Days in Wels, Österreich.

12. Dezember 2018

 

Communication Works: Energieeffizienz galt bisher als der kleine Bruder der erneuerbaren Energien. Im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien waren die Effizienzziele nicht verbindlich. Heute sagen auch immer mehr Politiker, dass Energieeffizienz an erster Stelle kommen muss. Was hat sich geändert?

Rod Janssen: Die Energieeffizienz hat seit Beginn der Debatte mit der ersten Ölkrise in den 1970er Jahren einen langen Weg hinter sich. Wir alle erinnern uns an den einen oder anderen autofreien Sonntag. Aber wir wissen auch, was dann kam: Als die Ölpreise wieder sanken, war die Angst groß, dass Energieeinsparungen der Wirtschaft schaden könnten. Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum waren stark voneinander abhängig.

Daher hat man früher Energieeffizienz auch als Energieintensität gemessen: Energieverbrauch im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt. Es ist sehr schwierig, dafür ein verbindliches Ziel vorzugeben.

 

Energieeffizienz an erster Stelle

 

Wie sieht es heute aus?

Heute wissen wir, dass Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch entkoppelt werden können. Und wir wissen auch, wieviel wichtig der Beitrag der Energieeffizienz zur Erfüllung unserer Pariser Klimaverpflichtungen ist.

Daher ist das Europäische Parlament inzwischen sehr viel ehrgeiziger geworden, was die Energieeffizienz angeht. Die Kommission hinkt etwas hinterher. Die Mitgliedstaaten sind diejenigen, die die Politik tatsächlich umsetzen müssen und für die Erreichung der Ziele verantwortlich sind. Sie sind also eher konservativ. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum der Ministerrat noch stärker hinterher gehinkt ist.

Letztlich aber haben sie sich in der Mitte getroffen und sich darauf geeinigt, der Energieeffizienz einen wesentlich höheren Stellenwert zu geben. Man hat sich auf ein Ziel von 32,5 % mit einer Revisionsklausel nach oben geeinigt. Außerdem ist das Ziel nun die Einsparung von Primärenergie. Dadurch wird das Ganze messbarer. Auch wenn das Ziel noch nicht verbindlich ist: Jetzt sprechen wir endlich ernsthaft über Energieeffizienz. Darüber, dass sie an erster Stelle stehen muss.

 

Heisst das, jetzt wird es ernst? Die Richtlinie ist nicht nur ein Papiertiger?

Wir müssen vorsichtig sein, denn wir dürfen Energieeffizienz auch nicht überpromoten. Aber ein IEA-Bericht hat bereits 2015 aufgezeigt, dass es nicht nur energetische Vorteile gibt. Energieeffizienz bringt ja zum Beispiel auch gesundheitliche Vorteile, da sich dadurch die Luftqualität bessert. Und es gibt Wettbewerbsvorteile, die wir jetzt viel besser verstehen.

 

Wettbewerbsfähigkeit der Industrie

 

Gerade in energieintensiven Branchen gibt es große ungenutzte Potenziale zur Verbesserung der Energieeffizienz. Aber Branchen wie die chemische Industrie, die Stahlindustrie oder die Zellstoff- und Papierfabriken haben in der Vergangenheit sehr zurückhaltend reagiert. Was braucht es, um sie zu motivieren?

Es gibt viel Potenzial. Daran besteht überhaupt gar kein Zweifel. Und in diesen energieintensiven Branchen ist bereits viel passiert. Aber die großen energieintensiven Industrien sind sich sehr bewusst, was in Asien oder Amerika vor sich geht. Sie werden nicht zulassen, dass ihre Konkurrenten die Oberhand über sie gewinnen.

Energieeffizienz wird dann attraktiver, wenn man sie als eigenes strategisches Instrument zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit betrachtet. Das muss auf der obersten Führungsebene diskutiert und als strategische Entscheidung ernst genommen werden.

Ich denke auch, dass das Emissionshandelssystem mit steigenden CO2-Preisen in Zukunft eine stärkere Rolle bei der Effizienzsteigerung spielen wird.

 

Was ist mit kleinen und mittleren Unternehmen?

Das ist ein Problem. Europa hat viele KMU, die Welt hat viele KMU, aber das Bewusstsein für die Bedeutung der Verbesserung der Energieeffizienz ist nicht vorhanden. Die meisten nationalen Regierungen konzentrieren sich viel stärker auf die großen energieintensiven Industrien.

Auch wenn die 30 führenden Unternehmen für 80% des industriellen Energieverbrauchs verantwortlich sind, gibt es bei den KMU ein großes Potenzial für Energieeinsparungen. Sie sind auch ein Motor für die Schaffung von Arbeitsplätzen und das allgemeine Wohlergehen in den Regionen. Es ist wichtig, sie zu unterstützen.

 

„KMU brauchen mehr als nur Geld. Sie brauchen Zugang“

 

Was muß getan werden?

Die KMU könnten eine Art „One Stop Shop“ brauchen, wo sie sowohl über technische als auch über finanzielle Fragen sprechen können. Diese Rolle könnte beispielsweise von nationalen oder regionalen Energieagenturen übernommen werden, wie es sie in Oberösterreich gibt.

Oft wissen KMU nicht, wie man einen Business Case für eine Investition in Energieeffizienz erstellt. Sie sind sich der Möglichkeiten, sich an ein Energiedienstleistungsunternehmen zu wenden, nicht bewusst. Ein solcher Vermittler ist oft eine wertvolle Stütze bei der Entwicklung überzeugenderer Argumente für die Banken.

Die Mitgliedstaaten sollten in regelmäßigen Abständen langfristige Energieeffizienz-Strategien für KMU festlegen. Ebenso wie die Mitgliedstaaten durch die Gebäuderichtlinie verpflichtet sind, langfristige Sanierungsstrategien für Gebäude zu entwickeln und alle drei Jahre zu aktualisieren. Das würde sie zwingen, KMU und die Industrie insgesamt zu konsultieren.

Es reicht nicht aus, über die Europäische Union und viele Mitgliedstaaten finanzielle Mittel bereitzustellen. KMU benötigen Unterstützung, um überhaupt an das Geld ranzukommen. Heute ist der Verwaltungsaufwand und auch die Komplexität der Verfahren zu groß.

 

Die drei größten Erfolge in der industriellen Energieeffizienz

 

Sie haben gesagt: „Es ist viel unter dem Radar passiert“. Was sind die drei größten Erfolge bei der industriellen Energieeffizienz in den letzten 10 Jahren?

Die bedeutendste Neuerung in den letzten 10 Jahren war die Einführung von Energiemanagementsystemen mit der ISO 50001 Zertifizierung. Diese Art von Energiemanagement verändert die Kultur innerhalb eines Unternehmens in Richtung Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Energiemanagement insgesamt.

In der Vergangenheit haben die meisten großen Unternehmen einen Energiemanager irgendwo in der Fabrik versteckt. Die ISO 50001 verfolgt einen umfassenderen Ansatz vom Vorstand des Unternehmens bis hin zu den Mitarbeitern in der Fabrik. In Deutschland und vielen anderen Ländern hat sie sich gut entwickelt und ist sehr beliebt geworden.

 

Welchen Einfluß hatte Europa?

Die zweite wichtige Entwicklung war die Ablösung der Energieeinsparrichtlinie durch die Energieeffizienzrichtlinie im Jahr 2012. Das war das erste Mal, dass die Europäische Kommission ein Energieeffizienzinstrument für die Industrie mit obligatorischen Audits für große Industrieunternehmen eingeführt hat.

Die Mitgliedstaaten haben nun die erste Runde der obligatorischen Energieeffizienz-Audits abgeschlossen. Und während die Richtlinie sie nur für große Industrieunternehmen verbindlich machte, hat man in einigen Ländern wie Italien auch größere KMU verpflichtet. Es ist gar nicht so wichtig, ob diese erste Runde erfolgreich war oder nicht. Der große Schritt war, den Industriesektor in eine Lernkurve zu bringen.

Außerdem enthielt die Richtlinie auch erste Leitlinien für KMU und förderte die Rückgewinnung von Abwärme aus industriellen Prozessen.

 

Und die dritte Errungenschaft?

Das dritte wichtige Instrument war das Emissionshandelssystem als Treiber für mehr Energieeffizienz. Auch wenn wir damit bisher noch nicht genügend Ergebnisse im Hinblick auf die Energieeffizienz erzielt haben.

 

Globale Best Practice in Wels

 

Was bleibt noch zu tun?

Der jüngste Sonderbericht des IPCC macht deutlich, dass wir die 1,5 Grad Celsius nicht überschreiten dürfen. Dieses Ziel müssen wir im Auge behalten.

Einige Leute sagen, dass in vielen Ländern und Sektoren die tief hängenden Früchte jetzt weg sind. Da bin ich völlig anderer Meinung. Jeder muß noch sehr viel mehr beitragen!

Nehmen wir die bereits erwähnten verpflichtenden Audits: 90% der von den Energieaudits empfohlenen Maßnahmen sind noch nicht umgesetzt.

Die Getränkeindustrie in Belgien ist ein gutes Beispiel. Sie denkt sehr fortschrittlich und suchen immer nach den innovativsten Wegen, um Bier zu brauen. Das ist die Kultur, die wir entwickeln müssen: Wir können uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen und uns mit 30 Jahre alten Kesseln zufrieden geben.

Wir sollten uns weltweit mit den besten Praktiken befassen. Die jährlich im österreichischen Wels stattfindenden World Sustainable Energy Days bieten dazu eine hervorragende Gelegenheit.

 

Welchen Beitrag leisten Veranstaltungen wie die World Sustainable Energy Days?

Die Industrie steht noch am Anfang. Sie braucht Inspiration aus anderen Bereichen. Daher sind die World Sustainable Energy Days wichtig, um Ideen auszutauschen und voneinander zu lernen. Es ist ermutigend, so viele Experten zu treffen und so viele Analysen aus allen Teilen der Welt zu erhalten. Auch Vertreter der Europäischen Kommission sind da und hören zu. Gleichzeitig erfährt man viel über die Ergebnisse von EU-finanzierten Projekten.

Besonders interessant für Branchenvertreter ist die Messe, auf der man die Technologien tatsächlich sehen und anfassen und mit den Lieferanten diskutieren kann. Industrievertreter lieben das.

Wir arbeiten zu viel in Silos. Wenn wir über Gebäude sprechen, sollten wir auch über erneuerbare Energien sprechen. Wenn wir über erneuerbare Energien sprechen, sollten wir auch über Energieeffizienz sprechen. Bei dem Übergang in eine CO2-freie Wirtschaft müssen alle Maßnahmen miteinander verzahnt werden. Ereignisse wie die WSED tun das.

 

Die Ärmel hochkrempeln
Wenn Sie sich die laufenden Projekte ansehen, was könnte Ihrer Meinung nach die nächste bahnbrechende Innovation sein?

In der Vergangenheit haben wir immer nach dieser einen Sache gesucht, die uns zum Durchbruch verhilft. Als ich jünger war, dachten wir, es wäre die Kernenergie. Aber wir mussten feststellen, dass sie das nicht sein kann. Nach der ersten Ölkrise dachten Menschen wie Jimmy Carter, dass erneuerbare Energien den Zweck schnell erfüllen würden. Nun ja, auch das hat etwas länger gedauert. Aber ich glaube ernsthaft daran, dass der Grundstein dafür gelegt wurde, dass wir das gesamte Spektrum der Maßnahmen in einer gut durchdachten und durchdachten Weise nutzen. Ich fürchte, es gibt keine einzige Technologie, die alles lösen kann. Also müssen wir die Ärmel hochkrempeln und weiter schaffen.

 

Was können Organisationen wie Energy Efficiency in Industrial Processes tun?

Was EEIP betrifft, so haben wir 2011 begonnen und eine Community von Grund auf neu aufgebaut. Auf EU-Ebene gab es zu diesem Thema nichts. Heute folgen uns etwa hundertvierzigtausend Menschen auf verschiedenen Kanälen der sozialen Medien folgen. Das Interesse der Industrie an Information und Austausch zum Thema Energieeffizienz ist groß.

Dreimal im Jahr veröffentlichen wir zusammen mit einem Partner ein kostenloses Magazin. 25.000 Exemplare, die in die Fabrikhallen gehen.

Wir haben also große Fortschritte gemacht. Aber wir müssen auch über die Frage der Industrie hinausgehen und uns zum Beispiel mit Smart Cities befassen. Wir befassen uns auch mit neuen Technologien wie Blockchain und künstlicher Intelligenz.

 

Was wäre das Versprechen Ihrer Organisation, der EEIP? Oder Ihr persönliches Versprechen?

Wir sind im Dezember letzten Jahres umgezogen, und es gab 50 Halogenleuchten an der Decke. Ich habe alle gegen LEDs ausgetauscht. Für mich ist das ganz selbstverständlich, schließlich war mein Vater Holländer und meine Mutter Schottin (lacht.)

Als Organisation sind wir sehr klein, aber wir versuchen, gute und nachhaltige Unternehmensbürger zu sein. Wir alle kommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit. Meine Fitbit-Uhr hat mir letzte Woche angezeigt, dass ich jede Woche im Schnitt etwa 80 Kilometer gehe oder laufe.

Auf EU- und globaler Ebene können wir den Menschen eine Plattform bieten, um sichtbar zu machen, wie sie daran arbeiten, die Energieeffizienz zu verbessern, und was sie in Zukunft tun wollen.

 

Die ganze Welt und die EU zusammen in einem kleinen Dorf 

 

Sie unterstützen auch seit geraumer Zeit aktiv die Bemühungen des WSED zur Förderung der Arbeit junger Forscher. Warum ist es sinnvoll, an der Nachwuchskonferenz teilzunehmen?

Ich kenne keine andere Veranstaltung in Europa, die dies für junge Forscher tut, und ich denke, das ist von grundlegender Bedeutung. Ich bin seit vielen Jahren im wissenschaftlichen Komitee, welches die Arbeiten der jungen Forscher bewertet. Menschen wie ich werden im Jahr 2050 nicht mehr aktiv sein. Wir müssen neue Generationen von Forschern aufbauen. Sie bringen neue Ideen, neue Methoden und neue Ausdrucksformen mit sich.

Und für sie ist es wichtig, das, was sie bei einer Veranstaltung wie WSED geleistet haben, präsentieren zu können. Den WSED gebührt dafür große Anerkennung.

 

Wie nützt das Ihrer eigenen Arbeit? Was ist anders, wenn Sie aus Wels zurück kommen?

Als ich zum ersten Mal zu den World Sustainable Energy Days eingeladen wurde, hatte ich keine Ahnung, was mich erwartet. Aber ich war ziemlich fasziniert und liebte die dazugehörige Messe. Und ich mochte die Leute, die ich traf. Wir hatten die interessantesten Diskussionen von morgens bis abends.

Man trifft Menschen aus Portugal, Bulgarien oder Rumänien. Man hört einen Vortrag aus Schweden, und der nächste kommt aus Italien oder Kanada. Das ist fantastisch.

In Brüssel laufen die Mitglieder des Europäischen Parlaments und die Menschen der Europäischen Kommission wie verrückt herum. Aber in Wels sind sie entspannt und man kann mit ihnen reden. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, sie von Mensch zu Mensch zu treffen.

Ich bin schon seit langem dabei und sollte es allmählich leid sein, aber ich bin immer noch wirklich begeistert.

Christiane und ihr Team machen einfach weiter und haben es geschafft, Wels und Oberösterreich zu einem festen Treffpunkt zu machen. Letztes Jahr hatten sie Teilnehmer aus 66 Ländern. Das ist in der Tat ziemlich beeindruckend. Und dann ist ja auch das österreichisches Essen nicht zu verachten.

Hier geht’s zur Anmeldung für die WSED 2019: www.wsed.at

*EEEIP = Energieeffizienz in industriellen Prozessen